Die Liebe zur Eisenkugel verbindet

  27.01.2025    WLV Top-News WLV Wettkampf BLV Top-News BLV BLV-Wettkampf BW-Leichtathletik Top-News BW-Leichtathletik Wettkampfsport
Ogunleye und Kumbernuss – zwei Olympiasiegerinnen im Gespräch

Sport ist mehr als ein Olympiasieg mit 20,56 oder 20,00 Meter. Dahinter stecken Biografien mit Höhen und Tiefen, Jubel und Enttäuschungen, Verletzungen und Combacks. Das sind Botschaften zweier Protagonistionnen des Kugelstoßens bei einem Sportgespräch am Rande des weltbesten Kugelstoß-Meetings in Nordhausen (Thüringen). Es ist ein Wortwechsel zwischen Generationen, zwischen zwei deutschen Olympiasiegerinnen. Astrid Kumbernuss (55), Olympiagold 1996 in Atlanta, dreifache Weltmeisterin in den neunziger Jahren, Europameisterin und Sportlerin des Jahres 1997 in Deutschland als einzige Kugelstoßerin bislang. Ihr gegenüber die Sensations-Olympiasiegerin von Paris, Yemisi Ogunleye (26), Hallen-Vize-Weltmeisterin und Zweite bei der Sportlerwahl in Baden-Baden. 

Die deutschen Kugelstoßerinnen haben sportliches Gewicht und Geschichten zu erzählen im Dialog der Generationen. Insgesamt zwölf stehen unter den besten 30 der ewigen Weltbestenliste, fünf von ihnen holten Olympiagold. Kumbernuss und Ogunleye diskutieren lebhaft über Erfolge, Hintergründe und auch die Entwicklungen in ihrer Disziplin. 28 Jahre liegen zwischen ihren Olympiasiegen, ein Generationsunterschied.

Sie kenne Ogunleye bislang nur aus dem Fernsehen, habe sie lediglich im Internet gegoogelt, gesteht Kumbernuss ihrer 26-jährige Nachfolgerin. Die Neubrandenburgerin genießt noch immer ihre Popularität. „Man erkennt mich immer noch auf der Straße und spricht mich an“, erzählt sie. Die 12 internationalen Medaillen, die sie gewonnen hat, liegen zu Hause im Safe. Bei repräsentativen Veranstaltungen, bespielsweise für Schulklassen, holt  sie sie hervor. Sie hat alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt, sie hat aber auch die Schattenseiten des Sports erlebt. 1992 in Halle erlitt die Europameisterin von Split 1990 im Ring einen Kreuzbandriss. „Es war ganz bitter im ersten Moment, ich habe den Sport so geliebt und gelebt“, erzählt sie, „aber Verletzungen passieren, es geht auf und ab im Sport“. 53 Siege in Serie hat die Neunbrandenburgerin danach erreicht, einmalig in der deutschen Leichtathletik-Geschichte.

Auch Yemisi Ogunleye hat diese Situation erlebt. Zwei Kreuzbandrisse hat die ehemalige Turnerin schon früh in ihrer Karriere erfahren. Danach stieg sie vom Angleiten auf die Drehstoßtechnik um und hatte damit die Voraussetzung für ihre erfolgreiche Karriere gelegt. „Das war die Grundlage für meine heutigen Stöße über 20 Meter“, weiß sie um den Vorteil dieser Technik. 

„Es gibt aber noch Anderes, Wichtigeres als Sport und sportliche Erfolge“, sagt die Sportsoldatin aus Mannheim. Musik zum Beispiel sei ihr sehr wichtig. Und Ogunleye liefert mit einem Gospelsong („You make me happy“) am Mikrofon gleich den Beweis, zur Begeisterung des Publikums. Gospel sind ein Teil ihrer christlichen Lebensauffassung. Sie lebt diese in ihrer Kirchengemeinde Bellheim (bei Karlsruhe) in der Jugendarbeit und im Gospelchor. Sie singt in Kienbaum auf der Treppe gemeinsam mit Weitsprung-Olympiasiegerin Malaika Mihambo und Gitarrenbegleitung von Bundestrainer Uli Knapp einen Gospelsong („Hallelujah“) und begeistert bei der Sportler:innen-Wahl in Baden-Baden im weißen Abendkleid als Leadsängerin ihres Gospelchors auf der Bühne.     

Ihre Bibelfestigkeit beweist sie, indem sie Halbsätze aus der Bibel zu Ende bringt („Der Glaube ...kann Berge versetzen“, „Sei mutig und stark … denn der Herr dein Gott ist mit dir“, „Erfolge gehen … Jesus bleibt“). 

Ogunleye hatte in den letzten Monaten hart zu kämpfen mit dem Medienrummel nach Olympia, der sie belastet. Sie konnte deshalb erst spät wieder mit dem Training  beginnen. Dass sie mit 19,77 Meter gleich wieder an die Weltspitze vorgestoßen ist, spricht für ihre mentale Stärke und weckt Hoffnungen für die bevorstehende WM-Saison. 

„Erfolge kann man nicht planen“, sagt Ogunleye, weshalb auch ihre Popularität unvorbereitet gekommen sei. „Ich kenne Yemisis Situation mit der großen Populartät natürlich auch“, merkt Kumbernuss an, „dafür hat man geschuftet und viele Entbehrungen hingenommen“. Man müsse aber lernen, ‘Nein’ zu sagen in vielen Situationen, gab sie ihrere jüngeren Kollegin einen Rat. Entscheidend sei immer, dass das Training weitergeht.

Für beide Olympiasiegerinnen enorm wichtig: ihre Coaches. Ogunleye hat mit Iris Manke-Reimers und Artur Hoppe ein Team an der Seite („Die besten Trainer der Welt“, so Ogunleye euphorisch). Kumbernuss wurde über 20 Jahre von Dieter Kollark betreut, der auch ihr Partner war. „Fingerspitzen- und Bauchgefühl zeichnen gute Trainer aus“, weiß Kumbernuss aus langjähriger Erfahrung, „sie müssen einen Athleten auffangen, im Erfolg und auch wenn Tränen fließen“.

Kumbernuss war Anfang der neunziger Jahre die erste Drehstoß-Technikerin der Welt über 20 Meter. Als sie 1992 bei den Deutschen Hallenmeisterschaften in Karlsruhe mit drei ungültigen Versuchen ausgeschieden war, stieg sie wieder auf die Angleittechnik um. Heute gibt es in der Weltspitze praktisch nur noch die Drehstoßtechnik. Geändert hat sich auch das Äußere der Kugelstoßerinnen. „Ich war die erste, die über Technik und Ästhetik kam, die Vorgängerinnen mehr über Kraft und Masse“, spricht die dreifache Weltmeisterin die körperlichen Veränderungen offen an.

Was bleibt nach dem Leistungssport? „Der Sport und die Leichtathletik ist meine große Liebe geblieben, ich werde damit alt werden“, sagt Kumbernuss überzeugend. Für eine mögliche Einschätzung braucht Ogunleye wohl noch ein paar Jahre. Der Generationenunterschied der beiden Olympiasiegerinnen ist im Gespräch kleiner geworden. 

     

Ewald Walker / wlv