David Wrobel hat den Diskus weit geworfen und will auch als Trainer weiterkommen
Sport war und ist für David Wrobel, der inzwischen wieder für den VfB Stuttgart startet, ein Anker – im Leben, im Alltag und auch bald im Beruf. Sechszehn Jahre Leistungssport sind dabei nicht unbeachtet an seinem Körper vorbeigegangen. Nun möchte der 33-jährige Diskuswerfer auf seinen Körper hören und beendet seine sportliche Karriere. Seinen Werdegang haben verschiedene Personen geprägt und die Lehren daraus möchte er nun selbst als Trainer weitergeben.
Wrobels „Achillessehne“ ist der Ellbogen!
In sechzehn Jahren Leistungssport „nur“ die Baustelle Ellbogen zu haben ist für Wrobel ein Zeichen für seine allgemeine körperliche Belastbarkeit. Andere größere Verletzungen hatte er während seiner langen Karriere nicht.
Drei Operationen am Ellbogen in drei Jahren und die Tatsache, dass sich der Arm nach diesen schwerwiegenden Verletzungen nicht mehr komplett strecken lässt, führten schlussendlich zu Wrobels Entscheidung für das Karriereende. Schmerzen habe er nicht, meint der Diskuswerfer, aber ein vollständig gestreckter Arm sei wichtig für das Drehmoment im Ring, und wenn dies nicht mehr vollständig gegeben sei, wären die körperlichen Grenzen auf jeden Fall erreicht.
„In dem Zeitraum zwischen 2020 und 2022, als ich jährlich eine Ellenbogenoperation hatte, kam mir der Gedanke in den Sinn: ,Schaffe ich es überhaupt noch, an der Spitze mitzumischen mit dieser Verletzung, oder nicht?‘“, reflektiert der 33-Jährige seinen Entscheidungsprozess. Das Jahr 2023 war der Rehabilitation gewidmet, 2024 sollte nochmals alles gegeben werden, um an die sportliche Spitze zu gelangen.
Die Konkurrenz im Diskuswerfen sei in Deutschland schon immer stark gewesen, doch in Kombination mit den eigenen körperlichen Grenzen wurde der Kampf um die weiten Würfe immer härter: „Ich habe schon im April im Trainingslager gemerkt, dass ich meinen Körper nicht mehr so wie früher nutzen kann. Ich hatte weiterhin Spaß am Werfen, merkte aber, dass ich den Abstand zur nationalen Spitze nicht wie gewünscht verkleinern konnte.“
Olympia wäre eine wundervolle Erfahrung gewesen: in Tokyo 2021 war Wrobel zwar als Diskuswerfer mit dabei, aber ohne Zuschauer vor leeren Rängen zu werfen sei nicht das olympische Erlebnis gewesen, von dem jeder Leichtathlet träumen würde.
Wrobel ist mit seiner Entscheidung aufzuhören im Reinen, und doch schwingt ein wenig Wehmut mit: eine weitere Olympia-Teilnahme mit Zuschauern war nicht möglich, der Körper ist nicht mehr vollständig belastbar.
„Manchmal ist weniger, mehr“
Verletzungen sind besonders im Leistungssport keine Seltenheit: besonders Knieprobleme treten bei vielen Athleten und Athletinnen bereits in jungen Jahren auf, Operationen finden nach der ersten Verletzung immer wieder statt. „Wenn ich so höre, was meine Trainingspartner bereits mit sechzehn Jahren an Operationen hinter sich haben, bin ich sehr froh, eine so stabile körperliche Konstitution zu haben. Ich habe auf meinen Körper gehört und bin auf diese Weise größeren Verletzungen aus dem Weg gegangen“, zieht Wrobel ein gesundheitliches Resümee seiner Karriere.
Für eine lange erfolgreiche, und auch verletzungsarme, Sportlerkarriere müssen die Grundlagen stimmen. Für Wrobel startete der Leistungssport in Leinfelden-Echterdingen bei Hans-Joachim Budach, den er als seinen Entdecker bezeichnet. Mit ihm als Mehrkampftrainer konnte sich der Diskuswerfer eine gute Grundausbildung aneignen. Das Technik-Training wurde in Nürtingen unter Rolf Raisch und in Stuttgart unter Peter Ogiolda verfeinert, bevor es zum OSP Stuttgart zu Sabrina Werrstein ging.
Viele verschiedene Trainer hatten einen Anteil daran, dass Wrobel auf den Weg an die sportliche Spitze kommen konnte. Armin Lemme in Magdeburg war der Trainer, der laut Wrobel noch viel mehr an Leistungsvermögen aus ihm herausholte. In den sieben Jahren, die Wrobel unter Lemme trainiert hatte, verbesserte er seine Wurfweite um sieben Meter. „Er hat mich sowohl als Athlet als auch als Mensch sehr geprägt. Ich habe ihm sehr viel zu verdanken!“
Was die Beziehung der beiden so auszeichnete, war ein gemeinsamer Austausch und ein Lernen voneinander: „Er hat sich auch mir angepasst, wenn ich gesagt habe, ich höre auf meinen Körper und brauche eine Pause. Das hat er dann ins Training eingebaut.“ Lemme verstarb im August 2021 nach schwerer Krankheit mit 65 Jahren. Über seine sportliche Leistungsverbesserung hinaus steht Wrobel sein Trainer noch immer mit Rat zur Seite: Von ihm hat Wrobel den Leitsatz „Manchmal ist weniger mehr“ mitgenommen.
Heute die Jugend nachholen können
Mit Phasen der Höchstleistung und Phasen der Entspannung umzugehen ist ein Lernprozess. Das gilt auch für die soziale Entwicklung, erinnert sich der gebürtige Stuttgarter: Während der Schulzeit gab es Neider, die ihm die Freistellungen für die Sichtungslehrgänge und den Erfolg nicht gegönnt hatten. Mobbing kam auf, wirkte sich auf die Schulnoten aus. Glücklicherweise, wie Wrobel heute zugeben muss, wiederholte er freiwillig die achte Klasse. Und kam dadurch in ein soziales Umfeld, das ihn und seinen Ehrgeiz schätzte: „Die Anerkennung für meine Leistung war in dieser Klasse da. Leider blieb immer noch ein Wermutstropfen, denn an Partys an Wochenenden konnte ich wegen Wettkämpfen eben doch nicht teilnehmen.“
Das, was er damals verpasste, kann Wrobel nicht mehr nachholen, aber jetzt kann er auch mal ohne schlechtes Gewissen Party machen! Einige wenige Freunde sind aus der Schulzeit geblieben und die gemeinsamen Treffen bereiten Wrobel richtig Spaß. Das Fußballspielen, das er seit Karriereende in einer Mannschaft der Kreisliga betreibt, dreht sich weniger um die Leistung, und mehr um das Miteinander und den Spaß an der Bewegung.
Wrobel musste auf viel verzichten und sich immer wieder an neue Gegebenheiten anpassen, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Unterstützung und Rückhalt bekam er von seiner Mutter: Damit er von früh an seiner Leidenschaft für den Sport nachgehen konnte, scheute sie keine Mühen. „Bei Wind und Wetter, Regen, Schnee und brütender Hitze ist meine Mutter von A nach B gereist, hat mich von der Schule abgeholt, zum Training gefahren. Sie hat mir die Trainingsstunden in Stuttgart und Nürtingen ermöglicht, damit ich nicht auf der Busfahrt nebenher noch Hausaufgaben machen musste, so hatte ich auch einen Abstand zwischen Schule und Sport.“ Ihr ist Wrobel über alles dankbar. Auch bei den Wettkämpfen, die ihr erwachsener Sohn in ganz Deutschland und manchmal auch im Ausland bestritt – wie auch seinen letzten Wettkampf der Karriere in Thum – war sie der Rückhalt auf der Tribüne.
„Diesem Wurf bin ich seitdem hinterhergelaufen“
Alle Entbehrungen in Wrobels Leben haben sich auch wirklich gelohnt, wie er meint. Seine Zeit in Magdeburg habe ihm sehr viel Freude, Leistungsfortschritt und Lehren für das Leben mitgegeben. Besonders an die Deutsche Meisterschaft 2014 in Ulm erinnert er sich deutlich. Erst im Jahr zuvor war Wrobel nach Magdeburg gewechselt, wodurch Ulm ein umgangssprachliches Heimspiel für ihn wurde: Familie und Freunde waren im Stadion.
Die Meisterschaft selbst bewertet Wrobel folgendermaßen: „Der Wettkampf lief nicht gut.“ Direkt vor dem Wettkampf wurde für ihn die Messlatte der zu werfenden Distanz hochgesetzt, an die 63 Meter sollten es werden, um sich dadurch für die Bundeswehrförderung zu qualifizieren. Seine damalige Bestleistung lag bei 61,18 Meter. In strömendem Regen kam Wrobel knapp ins Finale und setzte mit dem Gedanken „Alles oder Nichts!“ zum letzten Versuch an: 62,72 Meter. „Das Video gibt es heute noch auf YouTube, der David-Wrobel-Schrei in Ulm. Der Wurf wird mir immer im Gedächtnis bleiben, denn der war meine Eintrittskarte in die Bundeswehr.“
Diese Bestleistung hat er inzwischen mit 67,30 Meter im Jahr 2021 überboten. Auch dieser Wurf kam überraschend für den Stabsunteroffizier: vier Wochen zuvor im Trainingslager bei Münster konnte er aufgrund von Ellenbogenbeschwerden kaum trainieren, hinzu kamen Probleme in der Hüfte und dem Sprunggelenk. Von zwei Wochen Trainingslager konnte gerade eine sinnvoll zum Training genutzt werden. Beim Europa-Cup in Split wurde Wrobel Vierter im Einzel, Europameister mit der Mannschaft. Eine Woche später in Halle wirft er dann die Bestleistung von 67,30 Meter und sichert sich dadurch einen Platz bei den Olympischen Spielen in Tokyo. „Das war der optimale Wurf, dem ich seitdem auch immer hinterhergelaufen bin.“
Vom Trainer, der Persönlichkeit und dem gewünschten Wurf-Nachwuchs
Dass Wrobel inzwischen nicht mehr die gleiche Leistung erbringen kann, wie zu seinen Höchstleistungsphasen, ist ihm bewusst. Doch das sei auch nicht mehr sein Ziel: er blickt auf sechszehn Jahre Leistungssport zurück, seit 2014 ist er im Förderprogramm der Bundeswahr und wird Ende Oktober 2024 daraus ausscheiden. Bereits vor dem Eintritt in die Bundeswehr hatte er sich einen außersportlichen Anker gesetzt: „Mir war es wichtig vor meiner Karriere zum Sportsoldat eine Ausbildung abzuschließen. Hätte ich aufgrund einer Verletzung nichts mehr im Sport oder bei der Bundeswehr machen können, wäre ich als Bürokaufmann eingestiegen. Das hatte ich immer in der Hinterhand.“
Die Vorbereitung auf den Fall der Fälle legt er seinen Athleten und Athletinnen ans Herz. Und auch über die berufliche Absicherung hinaus möchte Wrobel seine Erfahrungen mit der nachkommenden Jugend teilen: der 33-Jährige befindet sich derzeit im Endspurt der Ausbildung zum A-Trainer und wird zum Jahreswechsel beim BWLV einsteigen und Training im OSP Stuttgart geben.
„Ich würde sagen, ich bin ein sehr offener Mensch und muss nicht zwingend meine Linie durchbringen“, fasst er seinen anvisierten Trainingsstil zusammen. „Als Mensch und als Trainer hat jeder seinen eigenen Stil, aber das Wichtigste ist, den eigenen Anspruch an die Möglichkeiten des Athleten anzupassen und so das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Am Ende des Tages bist du der Trainer, der die Entwicklung des Athleten in dessen Charakter und zu einer Persönlichkeit bestmöglich begleitet und formt.“
Training ausschließlich nach einem theoretischen Plan kann in den schlimmsten Fällen auch falsch sein: ein Athlet, der die Halle mit einer schlechteren Laune verlässt, als er sie betreten hat, wird irgendwann den Spaß am Sport verlieren. „Fehler werden nicht trainiert“, stellt Wrobel klar, „aber wenn es nicht so gut läuft, kann man andere Übungen machen, die nahe an dem Bewegungsablauf sind und trotzdem nicht den Fehler begünstigen, und dadurch dennoch die Freude am Training bewahren.“
Gemeinsam mit dem jungen Team in und um den OSP Stuttgart möchte Wrobel nicht ausschließlich im Leistungssport verankert sein: Leichtathletik im Breitensport mit Spaß darzustellen, ein Referendariat für Leistungssportkompetenz abhalten, Wissen an Heimtrainer weitergeben, das alles stellt sich Wrobel für das junge Team für die Zukunft vor. „Ich will in der Leichtathletik etwas in diesem Land bewegen und uns wieder dahin bringen, wo wir leistungsmäßig schon einmal waren“, nimmt sich der angehende A-Trainer vor. Wrobel kann sich auch eine dezentrale vereinsübergreifende Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche vorstellen, die sich in der Leichtathletik ausprobieren wollen. Ob dieses Projekt auch Fuß fassen, umgesetzt und angenommen wird, wird sich erst in ein paar Jahren zeigen. Denn Wrobel ist sich sicher: mit einem Fingerschnippen lässt sich ein Mehrjahresplan nicht umsetzen und darauf, ob der Plan auch angenommen wird, hat er selbst wenig Einfluss.